Das einzige Zen, das man
auf den Gipfeln der Berge finden kann,
ist das Zen, das man dort hochbringt.
(Zen-Weisheit)
Es waren einmal drei Magier, die lebten in einem fernen Land und studierten viele Jahre lang die Weissagungen. Nacht für Nacht beobachteten sie den Himmel. Sie stellten die Gestirne mit kleinen Öllampen nach und so erkannten sie die Bewegungen der Sterne und das Geheimnis der Gezeiten. Sie wurden mächtige Wissende und die Herrscher vieler Länder baten sie um Rat.
Eines Nachts aber entdeckten sie am samtschwarzen Firmament einen Stern, den keiner von ihnen jemals zuvor gesehen hatte. Der Stern leuchtete hell und er bewegte sich schneller als die anderen Sterne und auch in eine andere Richtung.
Da waren die Magier von Furcht und Hoffnung zugleich ergriffen. Sie berieten sich und zogen viele alte Schriftrollen zu Rate. Derweil der Stern sich Nacht für Nacht weiter über den Himmel bewegte.
Schließlich kamen die Magier zu dem Schluss, dass der Stern ein ganz besonderes Ereignis ankündigte.
Der Erste sagte: „Der Stern wird uns zu einem mächtigen neuen König führen, der über alle anderen Könige herrschen wird.“
Der Zweite sagte: „Der Stern wird uns zu einem neuen Gott führen, der zu uns auf die Erde gekommen ist.“
Und der Dritte sagte: „Der Stern kündigt den Befreier aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten an.“
Die drei Magier stritten eine Weile, wie es ihre Gewohnheit war. Denn sie waren kluge Männer und wussten, dass sie das Ringen um die Wahrheit näher zueinander und näher zur Weisheit brachte.
Und als sie das Gefühl hatten, einander gut gestärkt zu haben, beschlossen sie, die Reise ihres Lebens anzutreten und dem Stern zu folgen.
Sie hüllten sich in ihre kostbarsten Gewänder. Einer in Purpurrot, einer in Lapislazuliblau und einer in Safrangelb. Sie zogen mit Edelsteinen besetzte Schuhe an und trugen allerlei goldene Ringe und Halsschmuck. Sie nahmen die schönsten und kräftigsten Pferde aus dem Stall und zäumten sie mit kunstvoll verzierten Halftern.
Als sie aufbrechen wollten, trug jeder der drei Magier ein beschlagenes Kästchen aus Olivenholz, denn sie wollten ihr Ziel nicht ohne Geschenke erreichen.
Der Erste sagte: „Ich bringe Gold für den wahren König.“
Der Zweite sagte: „Ich bringe Weihrauch für den wahren Gott.“
Und der Dritte sagte: „Ich bringe Myrrhe für den Erlöser aus Werden und Vergehen.“
So fasste sich ein jeder ein Herz und sie machten sich in der Abenddämmerung auf den Weg, dem Stern zu folgen.
Und während sie Nacht für Nacht durch die Lande ritten und immer wieder ihre Lichter aufstellten, um den Himmel zu studieren, sprachen sie darüber, was sie am Ende ihres Weges erwarten würde.
Der erste sagte: „Wir wollen dem neuen König huldigen, so dass er unseren Rat einholt und wir an seiner Seite bleiben und große Macht erlangen.“
Die beiden anderen nickten und stimmten ihm zu. Sie sahen sich in Gold und Edelsteine gehüllt neben dem Thron des Königs der Könige.
Der Zweite sagte: „Wir wollen den wahren Gott anbeten und uns in seine Dienste stellen, so dass wir auf ewig unter seinem Schutz leben und er seine Hand über uns hält.“
Die beiden anderen nickten und stimmten ihm zu. Sie sahen sich für alle Zeiten in Sicherheit, satt und gesund.
Und der Dritte sagte: „Wir wollen dem Erlöser gleich unser Wissen vortragen, damit er uns als Seinesgleichen erkennt und unsere Stimmen im ganzen Land gehört werden.“
Die beiden anderen nickten und stimmten ihm zu. Sie sahen sich als berühmte Prediger durch die Lande ziehen, an allen Orten empfangen mit Jubel und Geschenken.
Viele Tage und Nächte vergingen und die drei Magier zogen durch Wüsten und fruchtbare Täler, überquerten Flüsse und Berge und lobten ihre tapferen Pferde für ihre Kraft und Treue.
Dann, eines Nachts, blieb der Stern stehen! Die drei Magier wurden sehr aufgeregt. Sie wussten, dass es jetzt nicht mehr weit war. Und sie striegelten ihre Pferde, polierten das Zaumzeug, bürsteten ihre kostbaren Kleider und putzten ihre edelsteinbesetzten Schuhe.
„Seid Ihr bereit?“ fragte der Erste in die Stille der Nacht hinein.
„Wir sind bereit!“ antworteten die beiden anderen.
Mit klopfenden Herzen machten sie sich auf ihr letztes Stück Weg.
Sie ließen ihre Pferde im Schritt gehen, denn sie wollten mit Würde und Bedacht an ihr großes Ziel kommen.
Die Stunden vergingen und die Nacht nahm ihren Lauf.
„Müssten wir nicht bald an einen Palast kommen?“ fragte der Erste.
„Müssten wir nicht bald von einer Wache empfangen werden?“ fragte der Zweite.
„Und müsste uns nicht eine Heerschar von Engeln den Weg weisen?“ fragte der Dritte.
Aber nichts dergleichen geschah. Ihnen begegneten nur Schafe und deren Hirten und sonst nichts.
Die drei Magier bekamen es mit der Angst zu tun. Sollten sie sich so sehr geirrt haben? Gab es etwas Beschämenderes, als ein Wunder geweissagt und nichts als Staub gefunden zu haben?
Der Stern aber stand unbeirrt vor ihnen und weil sie nicht wussten, was sie sonst tun sollten, ritten sie weiter darauf zu.
Schließlich kamen sie zu einer kleinen Kate, so wie Hirten sie bauen, um bei Unwettern ihre Tiere zu schützen. Aus dem Inneren drang der schwache Schein eines kleinen Feuers.
Die drei Magier hielten ihre Pferde an.
„Das kann es nicht sein“, sagte der Erste.
„Wir haben uns geirrt“, sagte der Zweite.
„Jedoch der Stern spricht eine eindeutige Sprache“, sagte der Dritte, „also lasst uns sehen, was in dieser Kate ist.“
Und sie saßen ab, banden die Pferde an einen Baum und schritten auf die Hütte zu.
Als sie die lose Tür öffneten, sahen sie im dämmrigen Licht eine Frau und einen Mann, die ihnen erschreckt entgegenblickten. Neben ihnen ein Esel, der an einigen trockenen Halmen kaute. Die Frau drückte ein Bündel an sich.
„Fürchtet euch nicht“, sagte der erste der drei Magier, „wir suchen den König der Könige.“
„Den neuen Gott …“, ergänzte der Zweite,
„… der uns aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburt erlöst“, endete der Dritte.
Das Paar in der Hütte starrte die reichgeschmückten Magier nur weiter an. Auf einmal ertönte ein zarter Laut, ein leises Greinen und das Bündel, das die Frau hielt, bewegte sich.
Da erkannten die drei Magier, dass die Frau ein Neugeborenes hielt und sie gerade nach der Niederkunft in den Stall getreten waren.
Und voller Sorge und Ehrfurcht vor dem Wunder des Lebens kniete sich der Erste neben der Frau nieder und legte ihr seinen blauen Mantel um.
Der Zweite nahm Brot und Früchte aus seiner Tasche und reichte sie dem Mann. Und der Dritte holte die Lichter hervor, füllte sie mit Öl und entzündete sie, so dass ein warmer Schein die Kate erleuchtete.
Und dann zeigte die Frau ihnen ihr Kind. Die Magier hatten noch nie in ihrem gelehrten Leben ein Neugeborenes erblickt. Es war dies ein so winziges, zartes und unbeschreiblich schönes Geschöpf, das ihre Herzen tief ergriffen waren und ihnen die Erkenntnis vom Wunder des Lebens offenbar wurde.
„Lasst uns unsere Geschenke holen“, flüsterte schließlich einer von ihnen.
Und so trugen sie ihre Kästchen aus Olivenholz in die Kate.
„Nehmt mein Gold für den Kleinen“, sprach der Erste, „denn kein König der Welt kann neues Leben erschaffen.
„Nehmt meinen Weihrauch für den Kleinen“, sprach der Zweite, „denn er ist dem Wunder Gottes viel näher als wir.“
„Nehmt meine Myrrhe“, sprach der Dritte, „denn der ewige Kreislauf überträgt auch ihm die Aufgabe, in seinem Leben Liebe, Wissen und Mitgefühl zu vermehren.“
Und so wurden die drei Magier zu drei Weisen. Sie kehrten wohlbehalten in ihr Land zurück und widmeten sich wieder den Schriften und den Sternen, denn jetzt lasen sie sie auf eine ganz neue Weise.