Aktuelle Corona Informationen

Wenn du verstehst,
dass andere anders sind als du,
dann fängst du an weise zu werden.
(Zen-Weisheit)

Der Junge und der Wolf

 

Es war einmal ein kleiner Junge, der wohnte in einem Dorf am Waldrand und wenn er seine Aufgaben erledigt hatte, dann streifte er am allerliebsten durch den Wald und freundete sich mit den Tieren an.

Einer seiner besten Freunde war ein Wolf. Gemeinsam verbrachten sie viele schöne Tage, wanderten durch den Wald, spielten am Fluss und erlebten viele Abenteuer.

Als der Wolf erwachsen geworden war, sagte er zu dem Jungen:
„Bitte nimm mich heute Abend mit in dein Dorf, ich habe Hunger und will mir eine der Ziegen holen.“

„Nein, das tue ich auf keinen Fall“, rief der Junge. „Wenn das herauskäme, würden meine Eltern mit grün und blau prügeln!“

„Na gut, sagte der Wolf, dann gehe ich eben alleine.“

Am nächsten Morgen war eine große Aufregung im Dorf, denn der Wolf war dagewesen und hatte eine Ziege gerissen. Und weil die Dorfbewohner Angst hatten, dass er wiederkommen würde, bauten sie ihm eine große, eiserne Falle.

Da rannte der Junge in den Wald zum Wolf und sagte: „Du darfst auf keinen Fall wiederkommen, denn sie bauen dir eine Falle!“

Der Wolf aber winkte ab und sagte: „Ich habe keine Angst vor den Menschen.“

Und so schlich er sich in der nächsten Nacht wieder ins Dorf und tappte in die Falle. Am Morgen fanden die Dorfbewohner ihn tobend und heulend in dem eisernen Käfig.

Weil sich aber niemand traute, so nah an den Käfig zu gehen, dass er den Wolf töten konnte, entschieden sie einfach, dass der Wolf darin gefangen bleiben sollte. Und so verging ein Tag nach dem anderen und der Wolf wurde immer hungriger.

Als sieben Tage vergangen waren, hatte Junge großes Mitleid mit dem Wolf. Er schlich zu seinem Freund an den Käfig und steckte ihm ein Stückchen Brot zu.

„Davon kann ich nicht leben“, sagte der Wolf. „Lass mich raus. Nur du kannst mich befreien!“

„Nein, das tue ich auf keinen Fall“, sagte der Junge. „Wenn das herauskäme, würden meine Eltern mich grün und blau prügeln!“

„Aber ich werde hier drin sterben“, entgegnete der Wolf.

Da zitterte dem Jungen das Herz und er schob den schweren Riegel beiseite und der Wolf war frei.

Anstatt aber froh zu sein, herrschte der Wolf den Jungen an: „Sieben Tage hast du mich hungern lassen und mir nur ein kleines Stückchen Brot gebracht. Jetzt bin ich zu schwach zum Jagen, also werde ich dich fressen!“

„Das darfst du nicht!“, sagte der Junge. „Ich habe dich befreit, also musst du dankbar sein!“

„Das sollen andere entscheiden“, sagte der Wolf. Und so gingen sie in den Wald und trafen als erstes auf einen alten Ochsenschädel. Und sie erzählten ihm die ganze Geschichte und baten um ein Urteil.

Der Ochsenschädel überlegte lange, dann sagte er: „Ich habe mein Leben lang den Pflug gezogen und doch hat mich mein Herr geschlachtet. Es gibt also keine Dankesschuld. Wolf du kannst den Jungen fressen.“

Da riss der Wolf schon sein Maul auf, als der Junge rief: „Ich habe ein Recht auf ein zweites Urteil!“

Und so gingen sie weiter, bis sie zu einem großen Baum kamen. Und sie erzählten ihm die ganze Geschichte und baten um ein Urteil.

Der Baum überlegte lange, dann sagte er: „Ich habe den Menschen immer Schatten gespendet und Früchte für sie reifen lassen, aber trotzdem haben sie mir Zweige abgehackt für ihre Feuer. Es gibt also keine Dankesschuld. Wolf du kannst den Jungen fressen.“

Und der Wolf wollte sich schon auf den Jungen stürzen, als dieser rief: „Aller guten Dinge sind drei, ich habe ein Recht auf ein drittes Urteil.“

„Das ist aber dann das letzte“, knurrte der Wolf. Und als sie weitergingen, trafen sie einen großen Uhu, der hoch auf einem Felsen saß. Und sie erzählten ihm die ganze Geschichte und baten um ein Urteil.

Der Uhu überlegte kurz und fragte dann den Jungen: „Wenn mein Urteil lautet, dass der Wolf dich nicht fressen darf, wirst du dann den Wolf fressen?“

„Aber nein!“, antwortete der Junge.

„Dann Wolf, wäre es ungerecht, wenn ich für dich entscheiden würde.“

„Aber wenn du für den Jungen entscheidest, dann würde ich verhungern“, wandte der Wolf ein.

Da fragte der Uhu den Jungen: „Wenn mein Urteil lautet, dass der Wolf dich nicht fressen darf, würdest du dann verhungern?“

„Aber nein!“, antwortete der Junge.

„Dann lautet mein Urteil so“, sprach der Uhu. „Junge, du fängst dem Wolf einen Hasen und dann geht Ihr beide Eurer Wege.“

Und so wurde es getan und danach sahen sich der Junge und der Wolf nie wieder.